Die internationalen Finanzmärkte mit der ausufernden Börsenspekulation gelten bei vielen
Systemkritikern als eines der Grundübel des Systems, und so werden vielerorts Rufe nach
strengeren Regeln und Beschränkungen laut. Ich teile diese Meinung nicht. Freie Finanzmärkte
sind ein Zeichen von Freiheit: Nicht umsonst wird die Börsenspekulation in diktatorischen Regimen
stark eingeschränkt bzw. ganz verboten. Und alle, die jetzt so laut nach Beschränkungen rufen,
sollten sich dann nicht wundern, wenn als erstes der Goldhandel eingeschränkt wird.
Alleine schon die Vehemenz, mit der häufig „Spekulanten und Hedgefonds“ als Hauptschuldige an
der Finanzkrise genannt werden, lässt vermuten, dass es sich hierbei lediglich um probate
Sündenböcke handelt. Dabei kommt es den Meinungsmachern natürlich gelegen, dass kaum einer
„die bösen Spekulanten“ kennt oder weiß, was sich hinter „den Hedgefonds“ eigentlich verbirgt.
Und deswegen meint man auch, keine Namen nennen zu müssen. Je nebulöser, desto besser.
Das ist wie bei dem Terror-Phantom Al-Qaida.
Ich will gar nicht bestreiten, dass an den Finanzmärkten auch einflussreiche Verbrecher agieren
(siehe Artikel zur Finanzkrise), aber daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, man müsse deshalb
in Zukunft die Spekulation beschränken, halte ich für grundverkehrt und gefährlich. Nicht die
Spekulation selbst ist das Problem, sondern die Staatsverschuldung, die dadurch mögliche
Kapitalkonzentration, die Manipulation der Märkte, die Ungleichbehandlung der Akteure und die
Unwissenheit der Menschen. Und das schreibe ich nicht nur, weil ich selbst ein (erfolgloser)
Mini-Spekulant bin, der davon träumt einen Krümel vom Kuchen zu ergattern, sondern weil
freie (!)
Finanzmärkte mehr für die Wahrheit leisten als das ganze Geschwafel von Politikern und Medien
zusammengenommen, und weil sie den Menschen zumindest theoretisch die Möglichkeit bieten,
die Folgen von politischen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen durch einen Hedge, d.h. eine
Gegenposition an den Finanzmärkten abzumildern.
Anstatt sich über „die Spekulanten“ aufzuregen, könnten die Menschen doch selber aktiv
spekulieren – dann würden sie sehr schnell zur Wahrheit finden: Dass Spekulation alleine noch
keine Lizenz zum Gelddrucken bedeutet, dass alles ein Nullsummenspiel ist, dass auch das Geld
selbst nur eine polarisierte Null ist, dass man nur das gewinnen kann, was andere verlieren, und
das man selbst immer Bestandteil des Geldwesens und damit der Spekulation ist. Wer meint als
Gutmensch nicht direkt an der Börse agieren zu dürfen, der sollte sich eines klarmachen: Wer
auch nur einen Cent auf einem Bankkonto hat, spekuliert mit. Zum einen spekuliert man direkt auf
die Bonität der Bank, und indirekt stellt man der Bank sein Geld zur Verfügung, mit dem die Bank
dann auf ihre Weise spekuliert. Selbst der sparsame Häuslebauer, der sein Geld nicht an der
Börse anlegt sondern in ein Häuschen investiert, spekuliert (z.B. darauf, dass am nächsten Tag
kein Krieg ausbricht, bei dem eine Bombe auf das Haus fällt).
In diesem weit gefassten Sinne ist Spekulation nichts weiter als die Ausrichtung finanzieller
Entscheidungen an seinen eigenen Zukunftserwartungen. Das ist vollkommen legitim. Ja, aber - die
bösen Zocker, die gegen den Euro spekulieren, und am Fall des Euro verdienen wollen…Ja, ja –
genauso böse wie der liebe Lottospieler, der auf den Jackpot spekuliert. Der Euro fällt, der Euro
steigt. Jeder kann versuchen daran zu verdienen, aber nicht jeder wird es schaffen. Auch die
meisten Lottospieler verlieren Geld.
Ja, aber – wo ist denn dann das Problem, wenn die Spekulation selbst nicht das Problem ist? Ich
habe es weiter oben bereits aufgezählt und werde nun etwas näher darauf eingehen. Da wäre zum
einen die extreme Ungleichbehandlung der verschiedenen Finanzmarktakteure. Wenn ich mich an
der Börse verspekuliere, dann muss ich die Verluste selber tragen (und dass ist auch richtig so).
Wenn brave Bürger sich von ihren Bankberatern Lehman-Zertifikate aufschwatzen lassen, die sich
in Luft auflösen, dann wird diese Dummheit (Unwissenheit) vor Gericht behandelt (Verschwendung
von Justizressourcen). Evtl. müssen dann andere Bankkunden die Kosten für eine Entschädigung
unreifer Anleger mittragen. Aber wenn Verbrecher im Schwarzen Peter Spiel mit Schrottanleihen in
Milliardenhöhe den Schwarzen Peter ziehen, bekommen sie neben all den Bestechungsgeldern,
Provisionen und Boni obendrein die „Verluste“ vom Steuerzahler ersetzt. Das ist keine Spekulation,
sondern die Lizenz zum Gelddrucken.
Das Problem ist also, dass die Marktgesetze nicht für alle gleichermaßen gelten. Das ist natürlich geradezu eine Einladung zum Verbrechen im großen Stil, wie wir es bei der letzten Finanzkrise
gesehen haben. Solange diese eine wichtigste Grund-Regel, dass jeder auf eigenes Risiko
spekuliert, nicht umgesetzt wird, werden andere Regeln zur Zähmung der Finanzmärkte zahnlose
Tiger bleiben. Und damit ein Angestellter einer Bank oder einer Anlagegesellschaft auch etwas von
den Risiken zu spüren bekommt, mit denen er tagtäglich handelt, wäre eine nachträgliche
Boni-Rückzahlung im Verlustfalle notwendig.
Im Zusammenhang mit der Bankenrettung wurden häufig Unwörter wie „alternativlos“ oder
„systemrelevant“ benutzt (als ob wir diesem System auch nur eine Träne nachweinen würden).
Sicher mögen die Vorgänge „systemrelevant“ gewesen sein, aber das konnten sie nur dadurch
werden, dass es schon lange vor der Finanzkrise einen stillen Pakt zwischen Politik und
Hochfinanz gab, oder besser gesagt ein Marionettenverhältnis. Das bezieht sich nicht nur auf die
Bailout-Garantie für die Köpfe der Hydra, sondern lange vorher bereits auf die Bereitstellung der
gigantischen Summen, die bei system- oder staatsgefährdenden Marktmanipulationen zum
Einsatz kommen: Nur durch die exorbitante Geldmengenausweitung im Zuge von
Staatsverschuldung und verfehlter Notenbankpolitik ist diese gefährliche Kapitalkonzentration in
den Händen weniger Manipulateure überhaupt erst möglich. (Aber auch hier ist es natürlich wie bei
der Arbeitslosigkeit: Das Ergebnis entspricht dem beabsichtigten Zweck. In diesem Zusammenhang
bedeutet das: Die Staatsverschuldung wird u.a. deswegen inszeniert, damit die Verbrecher der
Hochfinanz entsprechende Geldmittel zur Manipulation zur Verfügung haben.)
Nicht die Spekulation ist das Problem, sondern die Manipulation. Natürlich lässt sich Manipulation
nie ganz ausschließen, und Manipulation per se muss ja nicht automatisch schlecht sein.
Theoretisch hätte die Bundesbank statt im Verein mit anderen Zentralbanken in den 90-er Jahren
den Goldpreis durch Verkäufe und Goldleihen zu drücken, diesen umgekehrt auch durch Käufe
stabilisieren können. Das hätte in den letzten Jahren Milliarden-Gewinne für den Staatshaushalt
gebracht. Aber das hätte ja bedeutet, dass eine staatliche Finanzinstitution im Interesse des
Landes und seiner Bürger gehandelt hätte. Das wäre ja etwas ganz neues... Die Hochfinanz im
Interesse des Volkes ...
Um Manipulationen vorzubeugen könnte vielleicht mehr Transparenz ein wenig helfen: Wer sind
die großen Player, wer hat die großen Positionen, wie ist die Interessenlage, wie sind die
Verflechtungen? Aber nein, über Geld spricht man ja nicht, und überhaupt: Das Bankgeheimnis ist
uns wichtiger.
Um die Sache abzukürzen: Die Regeln im Geld- und Börsenwesen werden von seinen
Nutznießern gemacht. Und wenn jetzt irgendwelche Beschränkungen auf den Weg gebracht
werden (jüngstes Beispiel die Einschränkung von Leerverkäufen), können Sie sich sicher sein,
dass sie von der Hochfinanz abgesegnet sind und eher den Verbrechern nutzen als den Bürgern.
Dieser Weg geht in die falsche Richtung. Desto weiter wir uns von einem freien, gleichberechtigten
Finanzmarkt mit aufgeklärten, eigenverantwortlichen Marktteilnehmern (im Idealfall alle Bürger)
entfernen, desto düstereren Zeiten gehen wir entgegen.
Zum Abschluss die Gegenutopie: Was wäre wenn wir den Idealfall eines freien, aufgeklärten,
transparenten Finanzmarktes hätten? Wenn alle aktiv mitspekulieren würden?
Das Geld würde seine Eigendynamik voll entfalten und sein wahres Gesicht zeigen: Dass es nichts
weiter ist als eine polarisierte Null: Ein Sammelsurium von positiven und negativen, kurzen und
langen Zahlen, denen wir viel zu viel Bedeutung beimessen. Natürlich würde es
Spekulationsblasen und Pleiten geben. Am Ende würde das meiste Geld in demselben Nichts
verschwinden aus dem es gekommen ist. Und wir würden ihm keine Träne nachweinen, höchstens
der verlorenen Zeit und Energie. Was aber wirklich Wert hat, wird bleiben.